Gemeinschaftliche Planung
Planungsworkshop für La Borda © Lacol

Problem

Eine Voraussetzung für das Gelingen von baulichen Projekten ist, dass die Nutzungsbedarfe gut erfasst werden, um eine hohe Zufriedenheit der Nutzenden zu erreichen sowie Fehlplanungen und die damit verbundenen Folgekosten zu vermeiden. Herkömmlicherweise werden die Planungsaufgaben vom Auftraggeber definiert, die dann von den planenden Architekten in ein funktionales und räumliches Konzept übersetzt werden. In den letzten beiden Dekaden ist bei vielen Menschen das Bedürfnis gestiegen, in Projekten mit  einer sozial- ökologischen Ausrichtung zu leben und bei deren Planung ihr lebensweltliches Wissen einzubringen (Stadt Wien 2017, S. 8). Das ist mit komplexen und oft heterogenen Planungsanforderungen verbunden und es führt meist zu einem höheren Planungsaufwand, wenn Auftraggeber und Nutzende stärker an der Konzeption, Planung und Umsetzung der sie betreffenden Lebensbereiche teilhaben. Wie werden Partizipationsprozesse wirksam gestaltet und wie lassen sich gegebenenfalls aufkommende Zielkonflikte erfolgreich bewältigen?

Allgemeine Beschreibung

Partizipative Planung bezeichnet die Einbeziehung verschiedener Akteure in den Planungsprozess. Sie ermöglicht und fördert die Mitwirkung der späteren Nutzer:innen an Entwicklungs- und Entscheidungsprozessen (Stadt Luzern 2020, S. 6). Dabei stehen nicht die gesetzlichen Mitwirkungsmöglichkeiten im Vordergrund, sondern es handelt sich um ergänzende, freiwillige Formen, bei denen auch Menschen ohne formelle Partizipationsmöglichkeiten wie Kinder einbezogen werden können. 

Der Prozess der Partizipation umfasst verschiedene Schritte, meist mit einer Abfolge von aufeinander aufbauenden Veranstaltungen und Interaktionen mit den Beteiligten (Stadt Luzern 2020, S.20). Je nach Gestaltungs- und Entscheidungsspielraum können unterschiedliche Stufen der Partizipation unterschieden werden (Partizipationsleiter nach Sherry Arnstein 1969). Ein häufig verwendetes Modell der Partizipationsleiter unterscheidet vier Partizipationsstufen (SenStadtUm 2012, S. 28 f. nach Lüttringhausen 2000, S. 66 ff.):

1. Information: Interessierte und Betroffene werden eingeladen, sich über ein geplantes Vorhaben zu informieren und sich über die Auswirkungen aufklären zu lassen.

2. Mitwirkung (Konsultation): Interessierte und Betroffene können sich informieren und darüber hinaus Stellung zu den vorgelegten Planungen nehmen. Sie erhalten die Möglichkeit, Ideen für die Umsetzung einzubringen, können jedoch nicht über Inhalte entscheiden.

3. Mitentscheidung (Kooperation): Betroffene und Interessierte können bei der Entwicklung von Vorhaben mitbestimmen. Gemeinsam mit den Verantwortlichen können Ziele ausgehandelt und deren Ausführung und Umsetzung geplant werden. Interessierte haben einen sehr großen Einfluss auf die geplanten Maßnahmen und können sehr stark ihre Meinungen, Wünsche und Bedürfnisse einbringen.

4. Entscheidung (bis hin zur Selbstverwaltung): Die Bürgerinnen und Bürger (Anwohnerinnen und Anwohner, Verwaltung und andere) treffen gemeinsam eine verbindliche und von vielen legitimierte Entscheidung.

Für das Gelingen einer partizipativen Planung sind die Grundsätze Vorhandensein von Betroffenheit, Freiwilligkeit bei der Teilnahme, Nachvollziehbarkeit und Transparenz, die Verbindlichkeit und Verlässlichkeit, die Einflussmöglichkeiten und Regeln, Ergebnisoffenheit und das Agieren auf Augenhöhe zu berücksichtigen (Stadt Luzern 2020, S. 10). Der Prozess kann als Initiative aus der Bevölkerung (bottom-up) oder der Politik oder Verwaltung (top-down) angestoßen werden (Stadt Luzern 2020, S. 12). Bottom-up-Initiativen haben durch eine stärker gelebte soziale Zusammengehörigkeit oft eine nachhaltige Wirkung auf das Stadtbild und die Stadtplanung (Stadt Wien 2017, S. 8).  

Je nach Planungsaufgabe, Beteiligungsziel, Planungsmaßstab und Zusammensetzung der Akteure gibt es für die Umsetzung eine Vielzahl von Beteiligungsverfahren, wie z.B. Charrette, Open-Space-Konferenzen, Planning for Real, World Café, Zukunftswerkstatt oder Zukunftskonferenz (Nanz & Fritsche 2012, S. 36 ff). Aus der Dimension der Planungsaufgabe ergibt sich die Zusammensetzung der zu beteiligenden Stakeholder. Das sind bei architektonischen Projekten neben den Auftraggebern und Planern zumeist die zukünftigen Bewohner und Bewohnerinnen. Wenn es um Fragen der Quartiersentwicklung geht sind es die im Quartier lebenden Bürger und auch institutionelle Vertreter, z.B. von öffentlichen Verwaltungen, Schulen oder Unternehmen. 

Die Kommunikation zwischen den Beteiligten muss von Anfang an mitgeplant und abgestimmt werden, da sie einen wesentlichen Faktor für das Gelingen einer partizipativen Planung darstellt. Dabei ist eine zielgruppen- und methodenspezifische Aufbereitung der Informationen, die Integration verschiedener Vorstellungen über Workshops, Modelle oder Planspiele sowie eine genaue Planung der Kommunikationsabläufe von Bedeutung (Stadt Luzern 2020, S. 23). Divergierende Ziele sowie unvollständige oder gestörte Kommunikationsprozesse sind Anlass für Konflikte in Partizipationsprozessen. Diese können durch Mediation oder andere konfliktlösende Verfahren bewältigt werden.

In den letzten Jahren wurden verschiedene Formen der E-Partizipation entwickelt, das sind elektronische, internetgestützte Verfahren, die dazu beitragen, Akteure an Entscheidungsfindungsprozessen zu beteiligen (BBSR 2017, BBSR 2020). Je nach Planungsaufgabe können Präsenz- und Onlineformate miteinander auch kombiniert werden.

Beispiele

Die Sargfabrik entstand durch einen intensiven Beteiligungsprozess aller Mitglieder und steht unter dem Motto ‘Wohnen, Kultur und Integration’. In mehr als 10 Jahren Planungsarbeit agierte der eigens für das Bauvorhaben gegründete ‘Verein für Integrative Lebensgestaltung’ (VIL) als Bauträger, Betreiber, Vermieter und Eigentümer und trat im Planungsprozess für die Interessen der Nutzer*innen, die zugleich Vereinsmitglieder sind (ähnlich einer Genossenschaft), ein (BMVBS und BBSR 2009, S. 90). Der Verein bemühte sich aktiv, integrative Elemente aufzunehmen. Die Beteiligten stellten sich damals die Frage, welche Auswirkungen Partizipation auf den Planungsprozess hat. Im mehrere Jahre fortlaufenden Prozess wurden zuerst grobe Szenarien entwickelt und daraufhin diskutiert (Stadt Wien 2017, S. 35). Grundlagen und Vorschläge zu anstehenden Entscheidungen wurden in einzelnen Arbeitsgruppen erarbeitet und in den darauf folgenden Entscheidungsfindungsprozessen der Gruppe erst durch Konsensbildung und später durch Mehrheitsentscheidungen evaluiert. Ein solcher Prozess benötigt verantwortungsvoll agierende Mitglieder, aber birgt das Potenzial, dass durch intensive Diskussionen und die Notwendigkeit der argumentativen Begründung eine Beleuchtung des jeweiligen Problems von unterschiedlichen Seiten stattfindet. Dadurch waren die Entscheidungen im weiteren Verlauf belastbar (BMVBS und BBSR 2009, S. 92-93). Die Mitglieder des Vereins sind in verschiedenen Arbeitsgruppen ehrenamtlich tätig und sind somit Bestandteil der Abläufe im Gebäude (BMVBS und BBSR 2009, S. 91). 

Das Projekt wurde rechtlich als Wohnheim deklariert, um besondere Planungsabsichten zu ermöglichen. So war eine flexiblere Grundrissgestaltung möglich als sie im sozial geförderten Wohnungsbau üblich war, es konnte Miet- statt Eigentumsrechte der Bewohnenden realisiert werden und durch ein Reduktion der geforderten Stellplätze konnten Kosteneinsparungen erzielt werden  (BMVBS und BBSR 2009, S. 92). Die Erfahrungen aus dem Projekt Sargfabrik wurden durch den Verein auf das darauffolgende Projekt ‘Miss Sargfabrik’ übertragen.

Erkenntnisse und Synergien

Partizipation, also das Teilnehmen, die Teilhabe und das Beteiligt-Sein, hat je nach Fachrichtung viele Bedeutungen: Aktivieren und Befähigen von Menschen, von politischer, kultureller und sozialer Teilhabe, von Aneignung und öffentlicher Thematisierung eigener Bedürfnisse oder auch von Mitwirken an Kunstwerken. In Bauprojekten ermöglicht die Beteiligung der späteren Nutzer*innen eine bedarfsgerechte Planung und schafft eine stärkere Identifikation der Nutzenden mit ihrem Projekt und dem Quartier (Stadt Wien 2017, S. 8). 

Dabei kann die Partizipation in Planungsprozessen weit über die reine Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern hinausgehen: Eine eher passive Auffassung ist die der Teilnahme, während die Partizipation in ihrer aktiven Bedeutung für Teilhabe steht. So kann die Partizipation als eine Demokratisierung der Planung gesehen werden, wie etwa Ottokar Uhl formulierte (Stadt Wien 2017, S. 6). 

Entscheidungen werden auf der Grundlage verschiedener Gestaltungsvarianten und Szenarien getroffen, die in einem iterativen Prozess entwickelt werden (siehe u.a. Hofmann 2014). Das bedeutet, dass man sich der Lösung Schritt für Schritt durch mehrfache Wiederholung und Anpassung nähert. So können Ideen und Änderungen während des laufenden (Design-)Prozesses eingearbeitet werden. Das Ergebnis des partizipativen Planungsprozesses ist eine flexible und nachhaltige Architektur mit z.B. verschiedenen Wohnungstypen, die von kleinen Studios bis hin zu Familien- und großen Wohngemeinschaften (siehe Hunziker Areal) reichen und an die Bedürfnisse der zukünftigen Bewohner angepasst sind und kann sogar zur Entwicklung neuer baulicher Typologien wie z.B. Clusterwohnungen führen.Partizipativ geplante Projekte gewinnen an Qualität, können zu mehr Engagement motivieren und bei sorgfältig umgesetzter Beteiligung schneller umgesetzt werden, da eine erhöhte Akzeptanz weniger Einsprachen, Widerstände und somit Verzögerungen zur Folge hat (Stadt Luzern 2020, S. 6).  Das Einbeziehen verschiedener Akteure führt zu einer stärkeren Identifikation der Nutzer*innen mit dem Projekt. Die Erfahrungen sowie das Wissen verschiedener Perspektiven können Synergien ergeben, gesammelt und für weitere partizipative Planungen genutzt werden.

Quellen

BBSR (Hg.) (2017): Die Weisheit der Vielen. Bürgerbeteiligung im digitalen Zeitalter. Herausgegeben vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR), Bonn. Abgerufen am 26.04.2021 von https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/veroeffentlichungen/sonderveroeffentlichungen/2017/smart-cities-buergerbeteiligung-dl.pdf?__blob=publicationFile&v=2

BBSR (Hg.) (2020):Digitale Tools für die kollaborative Entwicklung von Smart City Strategien. Herausgegeben vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR), BBSR-Online-Publikation Nr. 10/2020,  Bonn. Abgerufen am 26.04.2021 von https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/veroeffentlichungen/bbsr-online/2020/bbsr-online-10-2020-dl.pdf?__blob=publicationFile&v=2

BMVBS und BBSR (Hg.) (2009): Stadtquartiere für Jung und Alt – Europäische Fallstudien. Sondergutachten im Rahmen des Experimentellen Wohnungs- und Städtebaus Forschungsfeld „Innovationen für familien- und altengerechte Stadtquartiere“. Bearbeitung Universität Stuttgart Städtebau-Institut, Fachgebiet Grundlagen der Orts- und Regionalplanung Prof. Dr. Johann Jessen (Projektleitung). Herausgegeben vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) und dem Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR), Bonn. Abgerufen am 26.04.2021 von https://d-nb.info/1000128016/34

Genossenschaft Kalkbreite (o.J.): Wohnen mit Kindern. Abgerufen am 26.04.2021 von https://www.kalkbreite.net/kalkbreite/wohnen-kalkbreite/wohnen-mit-kindern/

Hofmann, Susanne (2014): Partizipation macht Architektur: die Baupiloten – Methode und Projekte. Berlin: Jovis Verlag.

Nanz, Patrizia; Fritsche, Miriam (2012): Handbuch Bürgerbeteiligung. Verfahren und Akteure, Chancen und Grenzen. Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung Bonn Bd. 1200 – Bonn. Abgerufen am 15.05.2022 von  https://www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/Handbuch_Buergerbeteiligung.pdf

SenStadtUm (2012): Handbuch zur Partizipation. Herausgegeben von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt Berlin. Projektbegleitgruppe „Handbuch Partizipation“: Dr. Jochen Hucke, Sibylle Krönert, Carsten Lilie, Ursula Renker, Sieglinde Krabs, Kurt Nelius, Dr. Peter Fleischmann, unter Mitarbeit von Zine Eddine Hathat, Claudia Ladewig und Sandra Rosenow. 2. Auflage Februar 2012. Abgerufen am 26.04.2021 von https://www.stadtentwicklung.berlin.de/soziale_stadt/partizipation/download/Handbuch_Partizipation.pdf

Stadt Luzern (2020): Partizipative Planungsprozesse – Leitfaden. Luzern: Stadt Luzern.Stadt Wien (2017): Stadt der Zukunft – über partizipatives Bauen. Dokumentation einer Gesprächsreihe. Herausgegeben von der Stadt Wien, MA 18 – Stadtentwicklung und Stadtplanung, Gesamtkoordination: Wolfgang Dvorak.
Abgerufen am 28.04.2021 von https://www.wien.gv.at/stadtentwicklung/studien/pdf/b008510.pdf