Problem
Viele urbane Ballungsräume erleben in den letzten Jahren einen starken Bevölkerungszuwachs, der zu einer Verknappung von Wohnraum führt und einen hohen ökonomischen Druck auf innerstädtische Immobilien erzeugt. Wohnraum wird kostbar und teuer. Zugleich nimmt die Zahl der Ein-Personen-Haushalte zu, insbesondere in der wachsenden Altersgruppe der Über-50-Jährigen. Folgen dieses Individualisierungstrends in der Gesellschaft sind Vereinzelung und Vereinsamung bei steigenden Wohnkosten und Ressourcenverbrauch. Gibt es Wohnformen, die sowohl dem Bedürfnis nach Gemeinschaft wie dem nach einer geschützten Privatsphäre gerecht werden? Wie kann auf weniger Raum als bisher gut und günstig gewohnt werden?
Allgemeine Beschreibung
Cluster-Wohnungen sind eine neue Wohnform, in der mehrere private Wohneinheiten mit gemeinschaftlich genutzten Räumen kombiniert werden. Die privaten Wohneinheiten bestehen aus einem oder mehreren Zimmern, haben ein eigenes Bad und sind optional mit einer (Tee-) Küche ausgestattet. Die gemeinschaftlich genutzten Räume umfassen Wohn-, Koch- und Essbereiche sowie optional weitere Sanitär- und Hausarbeitsräume oder flexibel nutzbare Gästezimmer, sogenannte Jokerräume. Durch die Überlagerung von Nutz- und Verkehrsflächen entstehen zumeist großzügige, gemeinschaftlich genutzte Flächen, was die Wohnqualität steigert und sich flächen- und kostensparend auswirkt.
Cluster-Wohnen zeichnet sich durch selbstorganisierte Prozesse und einen hohen Grad an Einflussnahme auf die Entwicklung, Planung, Verwaltung und den Unterhalt der Räumlichkeiten aus. Bewohner:innen einer Cluster-Wohnung verbinden mit dieser Wohnform ein selbstorganisiertes Zusammenleben und die kollektive Nutzung von Gemeinschaftsflächen bewusst und auf Dauer. Damit unterscheidet sich Cluster-Wohnen von anderen Formen des Zusammenlebens, wie in Studierenden-, Alters- oder Pflegeheimen, die vor allem zweckorientiert und oft temporär erfolgen sowie durch Trägerorganisationen strukturiert und geregelt werden (Prytula et al. 2020b, S. 8-9). Die Größe der Cluster-Wohnung wird durch die Anzahl der in ihr zusammenlebenden Personen und ihrer Wohnvorstellungen bestimmt. Die typische Gruppengröße in Cluster-Wohnungen liegt zwischen sieben und neun Personen, es können aber auch mehr als 20 Bewohner:innen zusammenleben (ebd. S. 48f.). Cluster-Wohnungen ermöglichen die Realisierung von außergewöhnlich tiefen Baukörpern, die eine höhere Energie- und Kosteneffizienz ermöglichen. Gebäude mit Cluster-Wohnungen sind daher besonders geeignet für die Nachverdichtung und Verwertung von so genannten schwierigen Grundstücken, sowie von Ecksituationen im städtischen Geschosswohnungsbau (ebd. S. 48/ 54).
Beispiele
Vorreiter bei der Entwicklung von Cluster-Wohnungen waren v.a. Schweizer Wohnungsbaugenossenschaften. Insbesondere die Zürcher Bau- und Wohngenossenschaft Kraftwerk 1 hat mit den Projekten Hardturm (1999-2001), Heizenholz (2008-2012) und Zwicky Süd (2009-2016) die Typologie von Cluster-Wohnungen maßgeblich geprägt und weiterentwickelt (Bau- und Wohngenossenschaft Kraftwerk1, o.J.; Prytula et al. 2020b, S. 34). Ausgehend von den Erfahrungen mit großen Wohngemeinschaften im Projekt Hardturm hat Kraftwerk1 im Projekt Heizenholz die ersten zwei Clusterwohnungen gebaut. Die Wohnungen werden jeweils an einen Verein vermietet. Die acht bis zehn Mitglieder organisieren ihr Zusammenleben, die Möblierung, die Verteilung von Mietzins und Genossenschaftsanteilen selber (Thiesen 2014, S. 76). Neue Mitglieder werden ebenfalls durch die Gemeinschaft ausgesucht, so sind bei Wechseln keine Veränderungen des Mietvertrags mit der Genossenschaft erforderlich. Wohnungsintern kommen solidarische Finanzierungsmodelle zur Anwendung, um das Spektrum der Bewohnenden zu erweitern und vor allem auch ältere Menschen anzusprechen. Allerdings werden im Heizenholz die Clusterwohnungen mehrheitlich von Berufstätigen im Alter zwischen 35 und 55 Jahren bewohnt (ebd.).
Das Berliner Genossenschaftsprojekt Spreefeld wurde 2007 initiiert und 2014 bezogen. Das Ensemble besteht aus drei freistehenden Gebäuden am Ufer der Spree und gilt als Pionier für ein gemeinschaftliches Großprojekt, das neue Wohnformen, gemeinsam genutzte Räume und Büroflächen verbindet. Das Projekt beinhaltet zwei große Cluster-Wohnungen mit einer Wohnfläche von ca. 900 m² und ca. 600 m². In der größeren der beiden Cluster-Wohnungen, der „Spree-WG“, wohnen 21 Personen. Sie ist als Maisonette-Wohnung über zwei Etagen organisiert mit einer funktionalen Trennung der gemeinschaftlich genutzten Bereiche in eine unten liegende Küche und ein obenliegendes Wohnzimmer, an das ein gemeinsames Bad mit Ausblick auf die Spree angeschlossen ist. Auf beiden Etagen ergänzen große, gemeinschaftlich genutzte Balkone den Wohnraum. Die privaten Einheiten bestehen aus ein bis drei Zimmern mit privaten Küchen, wobei einzelne private Einheiten kein eigenes Bad haben. Die Gestaltung wurde wesentlich von den Bewohner:innen bestimmt. Innerhalb der vorgegebenen Etagen konnten sie selbst über die Größe und Aufteilung der privaten Einheiten entscheiden. Die gemeinschaftlich genutzten Räume wurden gemeinschaftlich geplant (Prytula et al. 2020b, S. 16 ff.).
Erkenntnisse und Synergien
Cluster-Wohnungen ermöglichen hohe Wohnqualitäten in verdichteten urbanen Bereichen, die vielfältigen Anforderungen einer nachhaltigen Stadtentwicklung gerecht werden, wie soziale Durchmischung, Teilhabe, Bezahlbarkeit und ein sparsamer Umgang mit Flächen und natürlichen Ressourcen. Dabei adressieren sie fünf wesentliche aktuelle gesellschaftliche Trends in der Wohnungswirtschaft und Stadtentwicklung:
- Wunsch nach Individualität und Rückzug,
- Bedürfnis nach Gemeinschaft,
- Wunsch nach Partizipation und Selbstbestimmung,
- Bedarf an kostengünstigem Wohnraum sowie
- Reduktion von Ressourcen- und Flächenverbrauch.
Die besonderen Qualitäten von Cluster-Wohnungen lassen sich mit herkömmlichen Bewertungsinstrumenten zur Flächeneffizienz nicht angemessen darstellen. Bei gleicher oder geringerer Flächeninanspruchnahme je Bewohner:in wird ein erheblich größeres Nutzungsangebot und „Raumluxus“ geboten.
Schlüsselfaktoren für das Gelingen von Cluster-Wohnungen sind aneignungs- und anpassungsfähige Raum- und Sozialstrukturen. Dafür sind bauliche Eigenschaften erforderlich, wie ausreichend große, geschickt zonierte gemeinschaftliche Wohnräume, die parallele Nutzungen zulassen, sowie eine große Vielfalt in Größe und Grundrissorganisation bei den Individualzimmern, um sich verändernden Wohnbedarfen Raum zu geben. Anpassungsfähigkeit wird eher durch Umnutzung als durch Umbau realisiert. Besonders innerhalb von größeren Projekten wird das durch sogenannte Flex-Räume oder durch Umzugsmöglichkeiten unterstützt.
Die individuelle Bereitschaft zum gemeinschaftlichen Wohnen sowie eine gelungene Zusammensetzung der Wohngruppe sind ebenfalls entscheidende Parameter für langfristig funktionierende und konfliktarme Wohngemeinschaften (Prytula et al. 2019). Der zentrale Beitrag von Cluster-Wohnungen für eine resiliente Stadtentwicklung besteht darin, dass sie funktionierende Beispiele für eine Diversifizierung der Wohnangebote und eine veränderte Wohnkultur geben.
Quellen
Bau- und Wohngenossenschaft Kraftwerk1 (o.J.). Abgerufen am 22.02.2021 von: https://www.kraftwerk1.ch/
Prytula, M., Rexroth S., Lutz, M., May, F. (2020b): Clusterwohnungen. Eine neue Wohnungstypologie für eine anpassungsfähige Stadtentwicklung. Herausgegeben vom BBSR, Bonn. Abgerufen am 22.02.2021 von https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/veroeffentlichungen/zukunft-bauen-fp/2020/band-22.html
Prytula, M., Rexroth S., Lutz, M., May, F. (2019): Der Beitrag von Cluster-Wohnungen für eine nachhaltige Stadtentwicklung. In: STATTBAU Gemeinschaftliches Wohnen im Cluster: Ein praktischer Leitfaden zum Planen, Bauen und Wohnen. S. 10-15. Abgerufen am 22.02.2021 von https://www.netzwerk-generationen.de/fileadmin/user_upload/PDF/Downloads_brosch%c3%bcren-dokumentationen/2019-12-13_Broschuere_Cluster_web.pdf
Thiesen, Claudia (2014): Wohnungscluster und Terrasse Commune. Die Gemeinschaft in der Genossenschaftssiedlung Kraftwerk1 Heizenholz. In: Arch Plus (2014): Wohnerfahrungen. Ausgabe 218, S. 74-79. Abgerufen am 22.02.2021 von: https://www.kraftwerk1.ch/assets/downloads/publikationen/siedlungen/Heizenholz/1411_Arch_218_Kraftwerk1%20Heizenholz.pdf