Problem
Ein kompaktes Bauvolumen mit einem geringen A/V-Verhältnis ist eine der architektonisch wichtigsten Maßnahmen, um den Raumwärmebedarf zu verringern. Zugleich verringern große Gebäudetiefen die Qualität einer natürlichen Belichtung und erzeugen höhere Bedarfe für Kunstlicht und künstliche Belüftung. Mit welchen baulichen Maßnahmen lassen sich große Gebäudetiefen mit natürlicher Belichtung und Belüftung realisieren?
Allgemeine Beschreibung
Ein kompaktes Bauvolumen wird durch die Relation der thermischen Gebäudehüllfläche (A) zum umschlossenen bzw. beheizten Volumen (V) als A/V-Verhältnis beschrieben. Je kleiner das A/V-Verhältnis, desto geringer ist der spezifische Energiebedarf pro m³ beheiztem Raum bei sonst gleichen Bedingungen. Nach der Kugel hat ein würfelförmiger Körper das kleinste A/V-Verhältnis und bei größerer Kantenlänge wird das A/V-Verhältnis kleiner. Das A/V-Verhältnis ist vorrangig von der absoluten Größe des Gebäudes abhängig, jedoch auch von der Ausformung, also Vor- und Rücksprüngen. Diese können den Wärmeverlust und somit den Heizwärmeverbrauch deutlich erhöhen (Vgl. Hegger et al. 2007, S. 86).
Überdachte Atrien gewähren bei großen Gebäudetiefen Belichtung und Belüftung für innenliegende Nutzräume bei gleichzeitiger Minimierung des Wärmeverlustes. Häufig werden Atrien auch mit witterungsgeschützten Verkehrsflächen zur Erschließung genutzt und dienen als Begegnungsräume.
Für die Integration der an das Atrium angrenzenden Räume als Nutzräume muss die Belichtung durch eine ausreichende Breite und angemessene Höhe sichergestellt werden, wie auch die Be- und Durchlüftung, um insbesondere im Sommer eine Überhitzung zu vermeiden. Dafür wird das Atriumdach meist mit einer Überhöhung ausgeführt. Die Belüftung im Winter über normale Fenster führt zu einer verbesserten Behaglichkeit, da die vorgewärmte Luft genutzt werden kann (Hegger et al. 2007, S. 101-103). Je nach Anwendung und Konzeption kann die Erschließung nur über das Atrium erfolgen oder über weitere, die Außenfassaden erschließende Möglichkeiten. Somit können Nutzräume entweder nur der Atriumserschließung oder mehreren Zugängen zugeordnet sein.
Beispiele
Alle Gebäude, die sich auf dem Hunziker Areal befinden, wurden nach dem Prinzip eines kompakten Baukörpers gestaltet, um Wärme- und Kosteneffizienz zu ermöglichen. Um das Ziel eines 2000-Watt-Quartiers zu erreichen, kamen bei diesem Projekt robuste Lowtech-Strategien zur Anwendung. Dabei bilden einfache geometrische Faktoren wie die Kompaktheit des Gebäudes, die Reduktion der Untergeschossflächen und der Anteil der Fensterflächen die Grundlage, da sie deutliche Auswirkungen auf die energetische Leistung, die graue Energie und Baukosten haben (Hofer & Pestalozzi 2015, S. 151-153).
Zudem wurden einige Gebäude mit Atrien und Clusterwohnungen realisiert. Diese sind mit unterschiedlichen Konzepten ausgestaltet: So orientieren sich im ‘Haus I’ des Hunziker Areals die Küchen der Wohnungen mit Fenstern zum Treppenhaus. Dadurch entsteht ein halbprivater Zwischenraum, der Beziehungen zur Hausgemeinschaft ermöglicht (Baugenossenschaft mehr als wohnen n.y.a). Durch dieselbe Gestaltung der Fenster im Innenraum wie im Atrium stellt sich ebenso ein Bezug her. Auch in ‘Haus A’ orientieren sich die Küchen der Clusterwohnungen zum Treppenhaus und wurden zusätzlich großflächig verglast. Dies ermöglicht es, durch die Räume bis nach draußen zu schauen. So haben die Wohnungen und ihre Bewohnenden Kontakt mit dem Quartier wie auch zur Hausgemeinschaft. Dabei ist die als Atrium gestaltete Treppenhalle das Zentrum des Gebäudes, welches sich auch über Fenster und den Bodenbelag mit den Gemeinschaftsräumen der Wohnungen verbindet. Außerdem gibt es auf jeder Etage Waschküchen, die den Austausch unter Bewohnenden fördern (Baugenossenschaft mehr als wohnen o.J.b).
In ‘Haus K’ wurde durch zwei ineinander verschränkte Treppenhäuser ein Begegnungsraum geschaffen, der über Treppenaugen Licht in die Tiefe bringt und sich bis ins Innere der Wohnungen zieht – der Eingangsbereich der Wohnungen ist verglast und durch einen Vorraum gestaltet, in dem die Bewohnenden beispielsweise Fahrräder abstellen (Baugenossenschaft mehr als wohnen o.J.c). Wie auch in ‘Haus M’, öffnet sich hier ein großzügig verglaster gemeinschaftlicher Waschsalon im Erdgeschoss zu den Atrien.
La Borda verfügt über einen zentralen Innenhof mit einem erhöhten Atriumdach, das als warmer sozialer Treffpunkt fungiert und alle Wohneinheiten, die um ihn herum organisiert sind, mit Licht versorgt. Das Polycarbonat-Dach des Atriums fängt im Winter die Sonnenwärme ein und wirkt so wie ein Gewächshaus. Im Sommer sorgt es für zusätzliche Belüftung (Kafka 2020).
Ein wichtiges historisches Beispiel ist die Familistère in Guise (Frankreich), die der Fabrikant und utopische Sozialist Jean-Baptiste André Godin von 1858 bis 1883 für seine Arbeiter und deren Familien erbauen ließ. In der schlossartigen Anlage umschließen drei große Wohnblöcke jeweils mit Glas überdachte Innenhöfe, von deren Galerien aus die Wohnungen erschlossen werden (Bauwelt 2004).
Erkenntnisse und Synergien
Die Gestaltung von Baukörpern wird durch die Belichtungstiefe begrenzt. Durch die Kombination eines kompakten Baukörpers mit einem oder mehreren Atrien können auch größere Gebäudetiefen mit einem niedrigen A/V-Verhältnis umgesetzt werden. Zudem kann das Atrium als eine attraktive Erschließungssituation und Begegnungszone mit Blickbeziehungen gestaltet werden, die Raum für Begegnung schaffen und den Austausch zwischen den Bewohnenden fördern. Diese Kombination stellt eine Lowtech-Lösung dar, um Energie einzusparen. Eine kompakte Bauweise spart Kosten bei der Fassadenherstellung, dem späteren Wärmebedarf und ermöglicht kurze Wege. Bereits am Anfang eines Entwurfs sollten Überlegungen wie die eines kompakten Baukörpers einbezogen werden, da dieser große Auswirkungen auf die Performance und Ausstattung eines Gebäudes hat. Durch größere Gebäudetiefen können ebenso neue Wohnformen wie Cluster-Wohnungen umgesetzt werden. Damit Atrien nicht als reine Erschließungsfläche fungieren, sind sie mit ausreichend nutzbarer Fläche konzipiert. Durch tiefe Baukörper können auch städtebaulich “schwierige” Grundstücke einer sinnvollen Nutzung zugeführt werden.
Quellen
Baugenossenschaft mehr als wohnen (o.J.a): Dialogweg 2, 2015. Abgerufen am 30.03.2021 von https://www.mehralswohnen.ch/hunziker-areal/das-quartier/dialogweg-2/.
Baugenossenschaft mehr als wohnen (o.J.b): Dialogweg 6, 2015. Abgerufen am 30.03.2021 von https://www.mehralswohnen.ch/hunziker-areal/das-quartier/dialogweg-6/?L=0.
Baugenossenschaft mehr als wohnen (o.J.c):Genossenschaftsstraße 18, 2015. Abgerufen am 30.03.2021 von https://www.mehralswohnen.ch/hunziker-areal/das-quartier/genossenschaftsstrasse-18/.
Bauwelt (2004): Utopia gestern. Bauwelt Heft 27–28.04, 23. Juli 2004
Hegger, M., Fuchs, M., Stark, T. & Zeumer, M. (2007): Energie Atlas. Nachhaltige Architektur. 1. Aufl., München: Birkhäuser Verlag für Architektur.
Hofer, A. & Pestalozzi, M. (2015): Mit Lowtech auf dem Weg zur 2000-Watt- Gesellschaft. In Hugentobler, Hofer & Simmendinger (Hrsg.), Mehr als Wohnen (S. 151-154). Berlin, Boston: Birkhäuser.
Kafka, G. (2020): Sustainable building, sustainable living: La Borda, Barcelona by Lacol. Abgerufen am 06.04.2021 von https://www.architectsjournal.co.uk/buildings/sustainable-building-sustainable-living-la-borda-barcelona-by-lacol.
Umweltbundesamt (2020): Indikator: Energieverbrauch für Gebäude. Abgerufen am 30.03.2021 von https://www.umweltbundesamt.de/daten/umweltindikatoren/indikator-energieverbrauch-fuer-gebaeude#die-wichtigsten-fakten.